Fünf Hintergründe zur Zukunft der Friedrichstraße
Die Friedrichstraße in Berlin ist seit den 90-er Jahren Schauplatz hitziger Debatten. Ging es damals um Fragen von Denkmalschutz, Städtebau, Architektur, stehen in den vergangenen Jahren funktionale Aspekte wie Verkehr, Gewerbemieten und Aufenthaltsqualitäten im Vordergrund. Ein Hin und Her zwischen autofrei und Autoverkehr sorgt seit Jahren für Verwirrung, politische Grabenkämpfe und starke Emotionen bei Anwohnern, Gewerbetreibenden und der Stadtgesellschaft. Doch worum geht es bei diesem Konflikt? Geht es nur um Parkplätze und Fahrradwege? Hier sind fünf oft übersehene, aber entscheidende Fakten, die zeigen, dass die Probleme viel tiefer liegen.
1. Die Krise des Einzelhandels ist Jahrzehnte alt – nicht das Ergebnis der autofreien Zone.
Die weit verbreitete Annahme, die autofreie Zone habe den Einzelhandel in der Friedrichstraße ruiniert, ist ein Trugschluss. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der berühmten Meile sind keine neue Erscheinung, sondern das logische Ergebnis von fundamentalen Fehlkalkulationen aus der Nachwendezeit. Die Diskussion darüber, dass der Standort nicht funktioniert, wird seit „20 Jahren oder noch länger“ geführt. Die wahren Ursachen sind vielschichtiger:
- Der gescheiterte Konkurrenzversuch: Nach dem Mauerfall wurde die Friedrichstraße als luxuriöse Konkurrenz zum Kurfürstendamm positioniert – ein Anspruch, der sich nie erfüllte und in prominenten Fehlschlägen wie der Schließung der „Galeries 2006“ von Jagdfeld gipfelte.
- Die „Mall of Berlin“: Die Eröffnung des riesigen Einkaufszentrums am nahegelegenen Leipziger Platz zog Kaufkraft ab und erhöhte den Druck auf die etablierten Geschäfte massiv.
- Mangelnde Akzeptanz: Berlinerinnen und Berliner haben die Friedrichstraße nie als ihre primäre Einkaufsmeile angenommen. Sie blieb ein Ort für Touristen und Büroangestellte.
Das eigentliche Kernproblem, das aus diesen fehlgeleiteten Ambitionen der 90er Jahre resultiert, sind die extrem hohen Mieten. In der Vergangenheit wurden bis zu 250 € pro Quadratmeter verlangt – eine wirtschaftliche Last, die nichts mit der Verkehrsführung zu tun hat.

Zukunft der Friedrichstrasse. Foto: C. Hajer
2. Es geht nicht um einen Verkehrsplan, sondern um einen symbolischen Kampf.
Der 500 Meter lange Abschnitt der Friedrichstraße ist zu einem „Symbol-Thema“ für die gesamte Verkehrswende in Berlin geworden. Hier werden ideologische Grabenkämpfe zwischen verschiedenen politischen Lagern ausgetragen, wie der öffentliche Konflikt zwischen der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) eindrücklich zeigte. Experten wiesen in der öffentlichen Diskussion darauf hin, dass andere Orte in Mitte aus stadtplanerischer Sicht weitaus besser für eine Fußgängerzone geeignet wären. Am Hackeschen Markt etwa „sind so viele Fußgänger, dass die manchmal vom Trottoir kippen, weil die so schmal sind“. Diese drängende, praktische Notwendigkeit wurde ignoriert. Die Friedrichstraße wurde stattdessen bewusst wegen ihres „Prestige-Effekts“ als Schauplatz für diesen Grundsatzkonflikt gewählt.
3. Die heutigen Probleme begannen mit dem Wiederaufbau in den 90er Jahren.
Historisch war die Friedrichstraße ein Ort mit einer kleinteiligen, lebendigen Struktur, die einst als Straßenzug „mit mehr Lokalen als Hausnummern“ beschrieben wurde. Nach dem Mauerfall änderte sich dieses Bild radikal. Investoren kauften ganze Häuserblocks und ersetzten die gewachsene Struktur durch großflächige „Investoren-Träume“ wie die zwischen 1992 und 1996 errichteten Friedrichstadt-Passagen. Diese riesigen Geschäftshäuser und Quartiere sollten Luxus und Glamour nach Berlin bringen, ein Versprechen, das sich in der Stadt nie ganz einlöste. So verwandelte sich die Straße in eine „Investoren-Wüste“, deren Architektur sich nicht organisch einfügte und die für viele Berliner und Touristen wenig Aufenthaltsqualität bot.
4. Der Verkehrsversuch war durch einen verfehlten Prozess von Anfang an belastet.
Die Kritik an der autofreien Friedrichstraße entzündete sich weniger an der Idee selbst, deren Ursprünge auf zivilgesellschaftliche Initiativen wie „Changing Cities“ seit 2016 zurückgehen, sondern an ihrer staatlichen Umsetzung. Selbst Befürworter einer Verkehrsberuhigung kritisierten die Vorgehensweise scharf. Die wesentlichen Mängel lassen sich mit drei Begriffen aus der öffentlichen Debatte zusammenfassen:
- „Zwangsbeglückung“: Anwohnern und Gewerbetreibenden wurde ein fertiges Konzept ohne ausreichende Mitwirkung und Dialog aufgezwungen.
- „Schlampige Planung“: Die Gestaltung der autofreien Zone wirkte provisorisch. Plastikvogelhäuschen und einfache Bänke konnten keine echte Aufenthaltsqualität schaffen und wurden dem Anspruch des Ortes nicht gerecht.
- Schlechte Kommunikation: Der Mangel an Transparenz führte zu einer „toxischen Mischung“ aus Misstrauen und Widerstand. Ein besonders denkwürdiges Beispiel war ein Treffen mit der Senatorin, bei dem die geladenen Akteure die endgültigen Pläne am selben Morgen bereits aus der Zeitung erfahren mussten.
Insbesondere der sehr breite, in der Mitte platzierte Fahrradstreifen wurde als „kommunikativer Kardinalfehler“ angesehen. Er zementierte bei Kritikern den Vorwurf, es ginge nicht um eine Flaniermeile für alle, sondern um eine ideologisch motivierte Bevorzugung des Radverkehrs.
5. Eine endgültige Lösung ist noch Jahre entfernt.
Wer auf eine schnelle und endgültige Lösung für die Friedrichstraße hofft, wird sich gedulden müssen. Der Verkehrsversuch wurde beendet, die Autos fahren wieder, und die Verantwortung liegt nun beim Berliner Senat. Dieser arbeitet an einem übergeordneten „Masterplan für die Berliner Mitte“, der weit über die Friedrichstraße hinausgeht. Die Zeitpläne, die von der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (SenStadt) verantwortet werden, sind langfristig angelegt:
- Die Bestandsanalyse für diesen Masterplan sollte bis Ende 2024 abgeschlossen sein.
- Das fertige Konzept wird nun für Ende 2025 erwartet.
Dieser Masterplan umfasst den gesamten Bereich zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor. Die Friedrichstraße ist somit nur ein Bauetein in einem viel größeren und langwierigeren Planungsprozess, dessen Ergebnisse noch völlig offen sind.
——————————————————————————–
Mehr als nur eine Frage des Verkehrs
Die Debatte um die Friedrichstraße geht weit über eine einfache „Autos ja oder nein“-Frage hinaus. Sie wurzelt in jahrzehntealten wirtschaftlichen Problemen, städtebaulichen Fehlern der Nachwendezeit und einer symbolisch aufgeladenen Politik. Die oberflächliche Konzentration auf die Verkehrsführung lenkt von der tieferen Identitätskrise der Straße ab. Der schlecht umgesetzte Verkehrsversuch war letztlich nur ein weiteres Symptom dieser Krise. Das wirft eine entscheidende Frage auf: Kann eine bloße Änderung der Verkehrsführung die Sünden der 90er-Jahre heilen, oder muss Berlin erst die „Investoren-Träume“ von damals begraben, um realistischere Perspektiven für die Friedrichstraße zu finden?